WO! 03/2011

 

Ach wie gut, dass niemand wei߅


…dass ich Rumpelstilzchen heiß


Kommentar und Analyse von Frank Fischer, Foto: Privat




















Das Baugebiet „WEI7“ am Weinsheimer See bleibt Dauerstreitthema (wir hatten in unserer Januar-Ausgabe ausführlich berichtet). Während das Planverfahren für das neu ausgewiesene Baugebiet, das mitten durch ein schützenswertes Biotop verlaufen soll, noch in vollem Gange ist und die Seeanwohner aufgrund naturschutzrechtlicher Bedenken Widerspruch gegen die geplante Bebauung eingelegt haben, fand hinter den Kulissen ein Briefverkehr zwischen einem Anwohner und SPD-Fraktionschef Jens Guth statt. Seitdem wissen auch wir: Die Unabhängigkeit von Politikern und überhaupt die komplette Demokratie sind massiv gefährdet.



Seit gut drei Jahrzehnten war eine weitere Bebauung am Weinsheimer See des Öfteren Thema, aber wurde von Ortspolitikern aus verschiedenen Gründen immer wieder abgelehnt. Lärmbelästigung (wegen der nahe liegenden Bahnstrecke Worms-Mannheim), mangelnde Verkehrsanbindung, naturschutzrechtliche Bedenken und nicht zuletzt der städtische Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ sprechen klar GEGEN eine Bebauung in dem geplanten Gebiet. Das sahen diverse Gerichte und politische Gremien genauso, bis zur Amtsübernahme von Oberbürgermeister Michael Kissel im Jahr 2003, der sich im Zuge seiner Verwaltungsreform u.a. auch das Ressort „Bauen“ gesichert und das Thema „WEI 7“ wieder aus der Schublade hervorgekramt hatte.

Denn am 07. Juli 2005 befürwortete der Bauausschuss unter Vorsitz von Kissel völlig überraschend die Aufstellung eines Bebauungsplans für das Plangebiet Weinsheim „Am See“. Im Mai 2007 empfahl die Struktur-und Genehmigungsdirektion Süd der Stadt Worms, die Flächenausweisungen von Biotop und Ackergelände, d.h. mehr als zwei Drittel des Plangebiets, zu überdenken und nicht weiter zu entwickeln, da der Bereich in der landespflegerischen Beurteilung als „nicht geeignet“ und bei der städtebaulichen nur als „bedingt geeignet“ eingestuft wurde. Auf das Projekt „WEI 7“ hatten die behördlichen Empfehlungen keine Auswirkungen, denn im Juni 2010 winkte auch der Wormser Stadtrat mit den Stimmen von SPD und CDU die Ausweisung eines Baugebietes am Weinsheimer See durch. Dass der Investor und Bauträger des Projektes, die Profecto GmbH, erst kurz vor dem Stadtratsbeschluss gegründet wurde und der Geschäftsführer als sehr guter Freund unseres Oberbürgermeisters gilt, verleiht dem umstrittenen Projekt einen unangenehmen Beigeschmack. Die Seeanwohner haben Widerspruch gegen die Bebauung eingelegt und stützen sich in erster Linie auf die Tatsache, dass aufgrund des Straßenbaus durch das Biotop verschiedene streng geschützte Tierarten erheblich gestört, verletzt oder gar getötet würden, was ein massiver Verstoß gegen das Naturschutzgesetz wäre.



 

EINE ANFRAGE AN WEINSHEIMS ORTSVORSTEHER


Rechtsanwalt Zahn, der Geschäftsführer des Bauträgers Profecto, hatte daraufhin den Seeanwohnern in der Wormser Zeitung unterstellt, mit gefälschten Bildern von seltenen Tierarten zu agieren. Derweil warf Weinsheims Ortsvorsteher Wößner (SPD) den Anwohnern vor, sich bei den eigenen Bauprojekten keine Gedanken zum Naturschutz gemacht zu haben. Aufgrund der in der Tagespresse geäußerten Vorwürfe schickte der verärgerte Seeanwohner Wolfgang Karl-Schuch über seinen Rechtsanwalt folgende Anfrage an den Weinsheimer Ortsvorsteher Wößner: 

„Sie äußerten sich im Rahmen der Diskussionen über das potentielle Baugebiet „WEI 7 Am See“ mehrfach über die Seeanwohner. Da die Seeanwohner im laufenden Verfahren auch naturschutzrechtliche Bedenken geltend machen, haben Sie verschiedene Äußerungen sowohl im Stadtrat als auch gegenüber der Presse getätigt. So werden Sie beispielsweise in einem Artikel in der Wormser Zeitung vom 16.09.2010 zitiert: „Es ist schon seltsam, dass sich einige Anlieger bei ihren eigenen Bauprojekten keine Gedanken zum Naturschutz gemacht haben, jetzt aber plötzlich ihr Herz für angeblich bedrohte Tierarten entdecken.“ Wir fordern Sie namens und im Auftrage unserer Mandantschaft auf, zu präzisieren, welche Anlieger Sie hiermit meinen. Weiterhin bitten wir, zu präzisieren, wie Sie zu der Auffassung gelangen, dass diese Anlieger sich bei ihren eigenen Bauprojekten keine Gedanken zum Umweltschutz gemacht hätten.

 

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DIE ANTWORT VOM FRAKTIONSCHEF 
HÖCHSTPERSÖNLICH


Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, stammte allerdings nicht von Weinsheims Ortsvorsteher, sondern von SPD-Fraktionschef Jens Guth, der auch im Namen seiner Parteikollegen Lammeyer und Wößner antwortete: 

„Ihre Zuschrift könnte den Eindruck erwecken, dass Ihre Mandanten beabsichtigen, mit Einschüchterungs- und Drohgebärden auf die politische Meinungsfreiheit und die unabhängige Entscheidungsfindung von demokratisch gewählten Mandatsträgern und damit rein sachlicher Erwägungen auf ein formelles Satzungsverfahren des Stadtrates Einfluss zu nehmen. Sollte
dies der Fall sein, verwahre ich mich – auch im Namen meiner Fraktionskollegen – entschieden gegen ein derartiges Ansinnen. Wir müssen uns unsererseits rechtliche Schritte vorbehalten. Tatsache ist, dass bei der ursprünglichen Entwicklung des Baugebietes „Am See“ in bis dahin größtenteils unbebaute Freiflächen und Biotopstrukturen eingegriffen wurde und die aktuell (aufgrund der inzwischen geltenden gesetzlichen Vorschriften) üblichen und im aktuellen Verfahren äußerst sorgfältigen Prüfungen der Umweltverträglichkeit, insbesondere des Lärm- und Artenschutzes, damals weder erfolgt sind, noch hinterfragt wurden. Vor diesem Hintergrund ist es legitim, in der politischen Debatte pointiert auf die Widersprüchlichkeit der Argumentation in Sachen Artenschutz hinzuweisen, zumal gerade dieser Aspekt durch einen unabhängigen externen Gutachter besonders sorgfältig untersucht worden ist und umfangreiche Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen vorgeschlagen wurden. Wir werden uns in unserer demokratisch legitimierten Unabhängigkeit und in der Orientierung unserer Entscheidungen an rein sachlichen und rechtlichen Aspekten durch Versuche der Einschüchterung oder polemisch-ehrabschneidenden Äußerungen nicht beeinflussen lassen.“



 

DIE REAKTION DES ANWOHNERS


Anwohner Karl-Schuch war natürlich verblüfft über die ungewöhnlich scharfe Antwort von SPD-Fraktionschef Jens Guth und antwortete seinerseits: 

„Erstaunt habe ich Ihre Antwort auf das Schreiben meines Anwaltes zur Kenntnis genommen. Sie waren lediglich gebeten worden, die Namen der angeblichen Bausünder zu nennen, die Sie in der Presse an den Pranger stellen wollten. Ihre Antwort in Rumpelstilzchenart ist jedoch ein verbaler Rundumschlag nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Mit juristischen Drohungen und Repressionen versuchen Sie die Fragesteller, die Sie und Ihre Genossen einschließlich des OB ins gesellschaftliche Abseits stellen wollen, mundtot zu machen. Sie sehen ja schon die Demokratie und die Meinungsfreiheit gefährdet, wobei die Demokratiegefährdung bei den heutigen Politikern und der daraus resultierenden Politikverdrossenheit beruht. Wenn Sie nun den Seeanwohnern Bausünden vorwerfen und zu dem Schluss kommen, eine solche Siedlung dürfe heute nicht mehr gebaut werden, ist natürlich die Frage gestattet, warum Sie auf Biegen und Brechen unter falschen Vorzeichen und unter vorsätzlicher Täuschung von Interessenten dulden, dass nach Ihren Ausführungen eine verbotswidrige Ansiedlung entsteht. Was Sie wohl aufgrund Ihrer Jugend nicht wissen können, ist, dass das damalige Bauherrentrio, vor allem der Architekt SPD-Mitglied war und schließlich der SPD -Oberbürgermeister (1967-1977) hier wohnte. Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Die Protagonisten der neuen Siedlung rekrutierten sich aus dem gleichen Personen- und Familienkreis wie die Gründergeneration. Ob dies alles nur Zufall ist, mag dahingestellt sein, auch nachdem die Firma Profecto ziemlich zeitnah zum Baubeschluss gegründet wurde. Auf jeden Fall können Sie nicht die jetzigen Seeanwohner pauschal irgendwelcher Bausünden beschuldigen, da ein Großteil Zweit- bzw. Dritteigentümer ist. Schließlich wurden die Baugenehmigungen damals von der Stadtverwaltungsspitze erteilt und diese Herren gehörten alle ihrem Dunstkreis an.“



 

DIE SPD UND DIE DEMOKRATIE


Für jemanden, der selbst schon des Öfteren juristisch mit der Wormser SPD zu tun hatte, kommt die Reaktion von Jens Guth keineswegs überraschend. Wer nicht mit den örtlichen Sozialdemokraten auf einer Welle schwimmt, der bekommt erst mal eine juristische Drohung geschickt und fast könnte man meinen, es ginge nur darum, den Kritiker einzuschüchtern und mundtot zu machen. Diese Taktik
belegt auch unsere interne Statistik, bei der die Wormser SPD – gemessen an allen juristischen Auseinandersetzungen, die unser Magazin in den letzten sieben Jahren ausfechten musste – auf eine astreine Quote von 100 Prozent kommt. Von daher überrascht Guths Antwort nicht wirklich. Lächerlich wird es jedoch, wenn der SPD-Fraktionschef von Einschüchterungs- und Drohgebärden schreibt, als habe der gute Herr Karl-Schuch dem Fraktionschef heimlich aufgelauert. Oder wenn er unterschwellig suggeriert, durch die polemisch-ehrabschneidenden Äußerungen des Herrn Dr. Karl-Schuch seien die Demokratie und die freie Meinungsbildung gefährdet. 

Der gleiche Guth hat übrigens nur kurz später am Rande der Podiumsdiskussion der Wirtschaftsjunioren einen Wormser Geschäftsmann allen Ernstes wie folgt angesprochen: „Ich hab Sie die ganze Zeit genau beobachtet. Wenn der Herr Kissel etwas gesagt hat, haben Sie kaum geklatscht. Bei allen anderen Kandidaten haben Sie viel häufiger geklatscht.“ Weiß Herr Guth denn nicht, dass zu einer Demokratie auch das Recht auf freie Meinungsbildung gehört – und zwar nicht nur für Politiker, sondern ebenso für Wähler? Aber anscheinend gibt es Leute, die zielsicher wirklich jedes Fettnäpfchen in ihrer Nähe aufspüren. Natürlich alles im Sinne der Demokratie.

 

(Quelle: http://www.wo-magazin.de/)